Wie können Journalisten Live-Streaming-Apps wie Periscope oder Meerkat einsetzen? Ein Erfahrungsbericht vom G-7-Gipfel im Juni 2015.
Ob im Lokal- oder überregionalem Journalismus. Mit den Kollegen Henrik Neumann und Susanne Dickel habe ich die Proteste gegen den G-7-Gipfel im Juni 2015 begleitet, dabei haben wir immer wieder Periscope eingesetzt. Beim INMA Ideas Day zum Thema Newsroom Innovationen in Helsinki habe ich über unsere Erfahrungen und Einsatzmöglichkeiten gesprochen. Die wichtigsten Thesen hier im Blog.
Warum überhaupt Periscope im Journalismus?
– Wer Marken oder Journalisten als Marke stärken will, muss in den sozialen Netzwerken präsent und relevant sein. So können neue User erreicht und langfristig möglicherweise an die Marke gebunden werden.
– Livestreaming Apps vereinen die Mega-Trends Mobile, Social und Video mit dem Thema Live. In der Mobile-Revolution werden Empfangsgeräte zu Sendegeräten und andersherum.
– Lernen. Journalisten bekommen durch das Live-Feedback der User, Fragen und Kommentare eindrucksvoll vor Augen geführt, für wen sie berichten. Journalismus als Service am User.
Zusammenschnitt: So haben wir mit Periscope gearbeitet
Klassisch und ganz anders: Wie wir in Bayern berichtet haben
1) Zeigen, was ist.
Sobald es laut, spannend, lustig, bizarr oder gefährlich wurde, konnten die User live dabei sein. Klassischer Videojournalismus in live.
2) Bei Interviews den User mitnehmen.
Wen sollen wir fragen, was sind Eure Fragen? immer wieder haben wir die Community mit einbezogen. So kamen Fragen von Zuschauern, die wir an Interviewpartner weitergereicht haben. Auf einige gute Ideen wären wir möglicherweise selbst nicht gekommen.
Beispiel gefällig? „Habt Ihr auch ein Bällebad?“ (an den Sprecher des Protestcamps; Antwort: nein) oder „Wenn Du ein Baum wärst, welcher Baum wärst Du?“ (an den gleichen. Antwort: eine Rotbuche, wegen der Farbe).
3) Kommunikation, direkte Interaktion!
Wir wurden viel gefragt und wir haben die User vieles gefragt: Wo kommt Ihr her? – Welche Sprache sollen wir sprechen? (viele aus dem Ausland im Stream) – Wer kann mit einer Straßenkarte/Auskunft kurz helfen? – Wie lautet der genaue Paragraph des bayerischen Versammlungsgesetzes über Spontandemos?
Die Community war bereit zu helfen, wir haben unser Smartphone ja zum Streamen vor allem benutzt und konnten nicht mit dem gleichen Gerät auf anderen Wegen recherchieren.
Auf diese Weise haben wir eine Verbindung zu den Zuschauern aufgebaut, die über den normalen Kontakt zum Publikum von Videos hinausgeht. User haben uns live eine Warnung des Wetterdienstes vor heftigen Gewittern und Hagelschauern geschickt. Sie haben sich gesorgt, weil es sehr heiß war, aufgefordert zu trinken und etwas zu essen. Wir haben über deutsche und internationale Bier-Sorten diskutiert, als gerade wenig passiert ist, oder über Fußball…
Und wir haben die User immer wieder bei Entscheidungen einbezogen: Wo hingehen, wen befragen, sollen wir live bleiben oder uns später zurückmelden? Offenbar ist es uns gelungen, die User ernst zu nehmen. Mit vielen Periscope-Hearts und Zuspruch, sogar Lob und Dank haben viele Zuschauer unsere Streams honoriert.
Mehrwert und Herausforderung
Der Mehrwert von Periscope liegt also ganz klar in den Interaktionsmöglichkeiten. Das bedeutet für Reporter eine nicht immer leichte Arbeitsweise. Fragen für Livekommentare können nicht im Vorfeld mit einem Moderator im Studio abgestimmt werden, die inhaltliche Vorbereitung muss breiter sein, der VJ gleichzeitig viel spontaner.
Das wichtigste aber: Die User verzeihen vieles, wenn man sie ernst nimmt. Der Periscoper ist verschwitzt, verspricht sich immer mal wieder, weiß nicht immer eine Antwort. Journalisten sind eben auch nur Menschen – das transportiert die beschriebene Form der Berichterstattung. Keine schlechte Sache, wenn wir uns von Einbahnstraßenjournalismus und allzugroßer Distanz vergangener Tage verabschieden wollen.
Ergebnisse unseres Experiments
Insgesamt hatten wir knapp 30.000 Live-User oder Replays in unseren insgesamt 19 Streams zu den G-7-Protesten. Dabei stiegen mehr als 150.000 Herzen auf unseren Screens auf. Beim erfolgreichsten Stream waren am Ende – bevor der letzte Akku ausfiel – mehr als 650 User gleichzeitig im Stream.
Da Periscope in unserem Sprachraum über die übliche Medien-Bubble hinaus noch nicht sonderlich weit verbreitet ist und wir mit wenigen Tausend Followern gestartet sind, ist das Ergebnis ganz fluffig. Außerdem hatten wir eine Menge Spaß und viel gelernt.
Nächste Schritte
Wie können Redaktionen den Stream intelligenter nutzen, als nur einen Screenshot einbinden und den Link zum Stream zeigen? Natürlich ist eine Embed-Funktion für Websites überfällig.
Darüber hinaus muss des um die Frage des schnellen „Highlight Editing“ gehen, intelligente Workflows sind nötig, um (vermarktbare) Best-Of-Clips schnell auf dem Websites oder in den anderen sozialen Netzwerken (insbesondere Youtube und Facebook) zeigen zu können.
Natürlich ist auch die Möglichkeit überfälllig, Streams im Replay vor- und zurückspulen zu können. Wir haben drei Zusammenschnitte gezeigt, einer ist oben embedded, einen weiteren zeigen wir hier.
Zudem ist eine Frage virulent, na klar. Hochkant, quadratisch, Querformat – wann wird Video endlich responsiv!? Aber das ist ein eigener Blogpost…
Auf Eure Meinungen, Anregungen, Kritik gespannt: In den Kommentaren, anderen Netzwerken – und demnächst vielleicht auf Periscope?
@Ma_Heller bei Periscope und Twitter.
Lieber Herr Heller,
mich würde interessieren, wie Sie die direkte Einbindung von Periscope auf einer Nachrichtenseite wie welt.de bei bestimmten Breaking News Situationen einschätzen. Stellen Sie sich einmal vor, Ihre Redaktion hätte die beiden Charlie Hebdo-Attentäter via Periscope live auf Ihrer Nachrichtenseite gezeigt, wie sie den Polizisten töten. Solche Dinge kann man nicht ahnen, sie unverpixelt zu zeigen, erscheint mir nicht richtig. Was denken Sie?
Viele Grüße
Martin Motzkau
Ich kann Periscope, Meerkat & Co. als journalistisches Tool nicht ernst nehmen, solange die Videos primär im grässlichen Hochformat aufgenommen werden.
Es ist ein cleveres und gelungenes Experiment. Schon alleine die Idee ist klasse.
Allerdings habe ich Probleme mit dem Hochkantformat. Es ist nicht nur, dass sich das Format nicht zum Abspielen in YouTube eignet, sondern man hat immer das Gefühl, dass man eigentlich sehen möchte, was rechts und links passiert. Von daher sehe ich die beiden Hype-Apps als nicht erste Wahl für Journalismusprojekte, auch wenn dort zur Zeit die meisten User unterwegs sind (was natürlich ein starkes Argument ist).
Besonders stark finde ich aber, eine Veranstaltung mit ständigen Aktualisierungen abzubilden. Das hat definitiv Zukunft und das entspricht auch meinem Konzept von schnellen und kostengünstigen Video-Journalismus im Aktuellen.
Danke für den gut recherchierten und umfassenden Beitrag. Ja -da kommt was auf uns zu – ich denke Periscope wird ein großer Erfolg. Auch hier in Berlin sind schon einige Boulevard-Blätter online und berichten z.B. als Polizeireporter von aktuellen Einsätzen.
Das ist eine sehr interessante Idee! Ich glaube dass diese Form der Nachrichtenübermittlung genau den Zahn der Zeit trifft. Ich werde diese Möglichkeiten in Zukunft mit Sicherheit auch nutzen.
Interessanter Beitrag. Periscope ist Personal Branding auf Steroiden. Jeder der sich als Marke mit seinem eigenen Namen präsentieren möchte kommt an Periscope kaum vorbei. Näher kannst du deinem Publikum kaum sein 😉
Ahoi. Ich glaube so eine Live-Streaming-App bzw. das Streamen in dieser Form wird früher oder später noch zur Youtube-Alternative. Einige größere Youtuber fangen ja jetzt schon mit dem Streamen an. Allerdings sind sie dabei noch nicht mobil sondern an ihren PC gefesselt.
Danke für den Beitrag.
Live Streaming ist immer mehr im kommen. Ich glaube aber nicht, dass es YouTube ablösen wird. Eher wird es eine Ergänzung zu YouTube.