Mobile Reporting: Selfie-Videos im Journalismus

Kann man eine On-Reportage ausschließlich mit dem Smartphone drehen? Sandra Sperber verrät, wie’s geht und wo das Handy an seine Grenzen stößt.

Mobile Reporting Sandra Sperber iPhone

Die NSA hatte es auf das Smartphone der Bundeskanzlerin abgesehen – warum also nicht auch mit dem Handy filmen, wenn es um die deutsch-amerikanischen Beziehungen geht? Ich wollte für SPIEGEL ONLINE einen etwas anderen, überraschenderen Vorbericht zum Besuch von Angela Merkel in den USA drehen.

Ein Selbstversuch im Zeitalter des Selfies: Reporterin im Bild, lockere Interviews mit kleiner Kamera, harte Cuts statt altmodischer Schnittbilder. (Mobil-User bitte hier klicken.)

Das Video wurde komplett mit dem iPhone 5 gedreht. Damit die Bilder möglichst professionell aussehen, muss man sich als mobiler Reporter folgende technische Grundlagen aneignen:

5 Regeln für Handy-Filmer

1. Telefon auf Flugmodus stellen, damit die Aufnahme nicht von SMS oder Anrufen gestört wird.

2. Zubehör: Handystativ Mobile ReportingUm das Smartphone besser halten zu können oder auch mal abzustellen, habe ich ein Handystativ verwendet. So kann man die Kamera einhändig halten und mit der zweiten Hand das Display bedienen oder ein Mikrofon halten. Gerade im Selfie-Modus, also wenn man sich selbst mit der Frontkamera filmt, lässt sich die Kamera sonst kaum stabil halten. Außerdem hatte ich ein externes Mikrofon dabei, um sendefähigen Ton zu gewährleisten.

3. Stromversorgung: Unbedingt ein Ladegerät mitnehmen oder, noch besser, einen Zusatz-Akku kaufen. Nach zwei bis drei Stunden im Videomodus ist das Smartphone in der Regel leer.

4. Filmic Pro: Die App hat (gegenüber der Standard-Kamerafunktion) den großen Vorteil, dass man per Fingertip Blende und Schärfe fixieren kann. Derzeit ist sie leider nur für Apple-Geräte erhältlich.

Screenshot: Die wichtigsten Funktionen von Filmic Pro
Screenshot: Die wichtigsten Funktionen von Filmic Pro

Links unten hat die App drei „Feststell-Tasten“, mit denen man zunächst den Weißabgleich festlegt, wenn die Farben realistisch wirken. Dann Quadrat (Fokus) und Kreis (Blende) auf das Gesicht des Interviewpartners ziehen und die zugehörigen Feststell-Tasten antippen.

Vor jeder Aufnahme sicherstellen, dass alle drei Feststell-Knöpfe angewählt (also rot) sind. Sonst „pumpt“ das Bild unschön. D.h. der Fokus wandert oder die Farben verändern sich beim Drehen.

Die wichtigsten Einstellungen der App (Zahnrad-Button):

Camera: Back (Frontkamera liefert schlechtere Qualität)
Resolution: 1920×1080 (bei älteren iPhones evtl. niedriger)
Frame Rate: 25 fps (sync audio)
Image Stabilization: Enabled
Audio Monitoring: an
Audio Meter: an
Video: Filmic Extreme (50mbit/s) liefert die beste Qualität. Wenn ihr das Material anschließend per Wifi oder Handynetz versenden wollt, möglichst niedrige Qualität einstellen.

5.  Niemals Zoomen – das verschlechtert die Bildqualität.

Ich habe als Coach mit Volontären der Axel-Springer-Akademie bereits das Multimedia-Projekt UnterANDEREN nur mit iPhones umgesetzt (gedreht, fotografiert) und hier noch mehr über das nötige Zubehör gebloggt. Damals hatten wir iPhones, die nur zum Drehen genutzt wurden und damit viel freien Speicherplatz hatten.

Dieses Mal habe ich mit meinem Alltags-Handy gedreht, auf dem ich zuvor mühevoll 2,5 GB Speicherplatz „freigeräumt“ hatte. Ein Problem, das viele Reporter mit ihrem Smartphone haben dürften.

 

5 mögliche Fehlerquellen

1. Kapazitäts-Probleme: Ich habe einen Tag lang gedreht und musste dazwischen dreimal pausieren um das Material zu sichern und Platz für Neues zu schaffen. Mobile Reporter sollten also schon bei der Anschaffung auf Smartphones mit möglichst viel Speicherplatz setzen und vor dem Dreh ihr Handy aufräumen.

2. Tücken von Filmic Pro: Die App verwirft oft bei Neustarts – oder wenn man von Front- auf Back-Kamera wechselt – zuvor getroffene Einstellungen. Besonders der wichtige Bildstabilisator schaltet sich immer wieder ab.

Screenshot: Clip-Archiv und Einstellungs-Button
Screenshot: Clip-Archiv und Einstellungs-Button

Und Filmic Pro gibt leider keine Fehlermeldung, wenn der Telefonspeicher zu voll zum Kopieren von Material ist. Um die Videos auf dem Rechner zu sichern, muss man sie nämlich zunächst aus der Kamera-App in die Foto-Übersicht des iPhones kopieren. Erst dann kann man vom Computer darauf zugreifen.

Wenn das Kopieren aus Platzgründen fehlschlägt, merkt der Nutzer das nicht sofort. So habe ich versehentlich Material gelöscht, weil ich davon ausgegangen war, dass alles vollständig kopiert wurde.

3. Ein Reporter, zwei Hände – das ist meist eine Hand zu wenig. Links das Mikrofon, rechts das Handystativ. Da fehlt oft eine Hand, um das Display zu bedienen und eventuell im Interview die Schärfe nochmal neu zu setzen.

4. Selfie-Modus: Wenn man mit der Frontkamera dreht, kann man bei Filmic Pro den Fokus nicht fixieren. Es ist also ein wenig Glückssache, ob das Quadrat – und damit die Schärfe – dann immer auf dem Gesicht liegt.

Außerdem ist es gewöhnungsbedürftig, dass das Bild auf dem Display seitenverkehrt dargestellt wird. Ich habe öfter mal in die falsche Richtung geschwenkt, wenn noch ein Interviewpartner im Bild war.

5. Komik-Faktor: Generell gilt, dass ein Smartphone als Kamera viele Interviewpartner überrascht. Besonders der Selfie-Modus funktioniert nur, wenn das Gegenüber etwas Humor mitbringt und der Look auch zum Thema passt.

 

Fazit: Für bestimmte Geschichten ist das Smartphone eine Alternative für Experimentierfreudige. Schreibende Journalisten können so mit wenig Aufwand O-Töne oder kurze Videosequenzen zu ihren Texten drehen.

Doch das Zusatzequipment und der technische Aufwand (Speicherplatz schaffen, komplizierte Einstellungsmöglichkeiten) bremsen den Spaß ein wenig. Handy zücken und einfach los drehen – so simpel ist es leider doch nicht.


6 thoughts on “Mobile Reporting: Selfie-Videos im Journalismus

  1. Der ganze Artikel ist auf das iPhone ausgerichtet, trotzdem wird ein Zusatzakku empfohlen. Das will ich sehen. Wie soll das mit evtl. externen Lösungen in der Praxis denn funktionieren? Den Preis für Filmic Pro hätte man auch mal erwähnen können. Abgesehen davon scheint die App auch nicht wirklich ausgereift zu sein.

    Nicht mal für den DAU lesenswert.

    1. Lieber DAU,
      hier nochmal für Sie der beschriebene ZUSATZakku: http://www.znex.de/mobile-energy.html Ich habe schließlich keinen ERSATZakku empfohlen, weil mir durchaus bewusst ist, dass man die Batterie des iPhones nicht ohne weiteres auswechseln kann.
      Ja, Filmic Pro kostet 4,49 €. Zwischenzeitlich gab’s die App auch mal kostenlos. Ich habe bei keinem Ausrüstungsgegenstand Preise angegeben – auch weil sie sich ständig ändern können.
      Wer wirklich vorhat, mit dem Smartphone professionell zu filmen, wird sicherlich bereit sein, diese Summe zu investieren.

      Beste Grüße,
      Sandra Sperber

  2. Hi Sandra,

    habe den Beitrag gelesen und angeschaut.

    Mit minimalen Aufwand kannst du das Wackeln eliminieren. Ich habe ein kleines Schwebestativ http://www.sonderstative.de/shop/typ_s_1.htm

    Plus einen Zusatzakku da das Telefon sonst zu leicht ist beides mit einem 3D gedruckten Halter am Schwebestativ angemacht. Fertig so kannst über Stunden filmen und die Kamera wackelt nicht, nichtmal beim Gehen und man kann mit dem Daumen auch ganz nette Schwenke machen.

  3. Cooles Video! Welches externes Mikrofon verwendest Du da? Hast Du sonstige Erfahrungen damit? Ich bin auf der Suche nach einem externen Mirko, das ich per Klinke an ein iPhone anschließen kann aber auch an einer DSLR nutzen kann.

    Danke und Gruß
    Steffen

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