„Was sollten Journalisten können, um für die Zukunft gerüstet zu sein?“, fragen die Kollegen von „Fit für Journalismus“ und starten eine Blogparade. Sandra Sperber meint: Wer Angst vor Veränderung hat, ist in dieser Branche falsch. Gefragt sind mutige Ideengeber.
Dumme Frage, dachte ich, als zum wiederholten Male jemand auf einer Journalisten-Konferenz gefragt hat: „Wer kennt Snowfall von der New York Times?“ Wer hat schließlich nicht die wegweisende Multimedia-Geschichte der New York Times gesehen? 2012 veröffentlicht.
Doch bei der Veranstaltung von Netzwerk Recherche hoben (überraschenderweise) gerade einmal die Hälfte aller Kollegen den Finger. Warum? Interessieren sich manche nicht für Innovationen? Verschließen sie lieber die Augen vor Neuem in der Hoffnung, von Online & Co noch eine Weile verschont zu bleiben? Für andere ist Snowfall längst überholt, die Debatte schon viel weiter.
Wer auch in ein paar Jahren noch in der Branche arbeiten will, kann nicht hoffen, den Wandel in einer Nische zu überstehen – sei es durch gebührenfinanzierten Rundfunk oder in der vagen Annahme, die gedruckte Zeitung könne noch bis zur eigenen Rente überleben.
Fit auf allen Plattformen
Derzeit sind wohl in den meisten Redaktionen frische Ideen gefragt. Wie gewinnen wir über Facebook oder Twitter neue Leser? Wie präsentieren wir unsere Geschichten multimedial? Welche Formate funktionieren mobil besonders gut?
Deshalb sollte sich jeder moderne Journalist zumindest Grundlagen in Sachen Social Media, Video und Fotografie aneignen. Eierlegende Wollmilchsau also? Nein, keineswegs. Natürlich sind weiterhin Reportagen-Schreiber, Social-Media-Redakteure, Videoreporter und Fotografen gefragt – schließlich darf die Qualität nicht leiden.
Multimedial Denken
Aber kein Autor kann es sich in Zukunft leisten, nicht mitzudenken, wie er seine aufwendige Geschichte präsentieren und verkaufen kann. Dafür muss er beispielsweise wissen, welche Multimedia-Inhalte sich intelligent integrieren lassen. Welches ungewöhnliche Recherche-Foto man auf Facebook zeigen könnte, um Leser anzulocken.
Das ist natürlich aufwendiger und oft auch riskanter als einfach nur Texte abzudrucken und ins Netz zu stellen oder klassische Fernsehbeiträge zu veröffentlichen. Aber Journalisten müssen heute auch mutig genug sein, um Neues zu wagen, neue Formate auszuprobieren. Manchmal kostet es Kraft, neue Ideen überhaupt vorzuschlagen und dann bis zur Umsetzung gegen alle Widerstände zu verteidigen.
Jede Innovation birgt auch ein Risiko. Redaktionen müssen deshalb ihrerseits ein Klima schaffen, in dem Journalisten gefordert sind, Ideen vorzubringen und auch mal scheitern dürfen.
Redaktionen im Wandel
Ich bin überzeugt, dass Redaktionen personell immer vielfältiger werden. Gefragt sind Programmierer, Multimedia-Reporter, Daten-Experten. Wer heute eine Karriere im Journalismus starten will, sollte sich darauf einstellen, dass er nicht mehr in einem reinen Schreib-Büro arbeitet. Bis vor Kurzem galten Multimedia-Inhalte noch lediglich als nette Beigabe zum Text. Nun rücken sie immer mehr in den Mittelpunkt.
Snowfall war ein Anfang – sicher können sich nicht alle Redaktionen solche Leuchtturm-Projekte wie die NYT leisten. Aber wer diese Experimente ignoriert oder verpasst, läuft Gefahr, ziemlich schnell vom Medienwandel abgehängt zu werden.
Das sehe ich überhaupt nicht als Widerspruch zu dem, was ich hier geschrieben habe: http://www.ceterumcenseo.net/was-muessen-journalisten-heute-lernen/
Ganz im Gegenteil: Ich denke, dass die Grundfähigkeiten, die ich dort beschreibe, einen Journalisten erst in die Lage versetzen, mit genau diesen veränderten Rahmenbedingungen zurecht zu kommen und souverän mit immer neuen Techniken und Präsentationsformen umzugehen.
Was ich meinte ist: Wenn ich weder recherchieren, noch Quellen prüfen kann, ich mich in die Personen, die ich interviewe und über die ich schreibe nicht hineinversetzen kann, dann hilft mir alle Innovationskraft und Social-Media-Affinität nichts, weil ich dann nichts Substanzielles zu sagen habe – wenigstens nichts im Sinne von „Journalismus“.
Ich denke, genau hier differenziert sich dann der Beruf des Journalisten von den Aktivität aller anderen User im Web …
Natürlich, eine gute Grundausbildung darf nicht fehlen. Ich bin nur überzeugt, dass Multimedia-Fähigkeiten inzwischen zu den Grundlagen gehören. Z.B. dass man bei der Recherche auch Twitter&Co einbindet und weiß, was man da finden kann. Es ist heute vielleicht wichtiger denn je, sich schon vor oder wenigstens während des Volontariats zu orientieren und vielleicht eine Spezial-Richtung einzuschlagen. Und nicht nur von der Seite-3-Reportage zu träumen.
Völlig einverstanden. Vielleicht ist für mich die Nutzung von Twitter, Facebook und Co auch schon so selbstverständlich geworden, dass ich gar nicht auf die Idee kommen würde, junge Kollegen, die gerade in den Beruf einsteigen, könnten das *nicht* tun. Das fällt unter Recherche und Quellenprüfung – und natürlich haben sich die Recherche-Methoden und die Art der zu prüfenden Quellen in den vergangenen Jahren rasant verändert.
Leider ist es keineswegs so, dass das für alle selbstverständlich ist. Mir scheint, wir diskutieren manchmal in einer sehr elitären Online-Blase – siehe mein Einstiegsbeispiel mit Snowfall…
Diese Online-Blase ist noch einmal ein ganz anderes Fass, das wir jetzt lieber zu lassen 😉 Auch da machen wir Journalisten viel zu oft den Fehler, ständig über Print und Online und was besser ist und was bald ausstirbt zu diskutieren – dabei ist das doch völlig egal. Ob ich auf einer Website, oder in einer Tageszeitung, bei Youtube oder im TV, im Radio oder in einem Podcast publiziere: Entscheidend ist, dass es relevant, spannend, innovativ, herausragend ist. Das Medium ist letztlich egal.
Alles bisher Gesagte ist sicher sehr richtig. Jugendfrische Offenheit und alte Tugenden, geschickt Twittern und gekonnt Texten. So dürfte klappen. Nach meiner Wahrnehmung werden nachrückende Journalisten/innen-Generationen längst intensiv auf Multimedia getrimmt. Nur für welche Aufgaben und Arbeitgeber genau? Ich denke, in der Zukunftsdebatte wird oft die existenzielle Unsicherheit vieler mit einem Mangel an Innovationsfreude verwechselt. Der Digitale Wandel läuft derzeit ein bisschen darauf hinaus, Medienschaffende als Einzelkämpfer/innen für die sozialdarwinistische Content-Auslese fit zu coachen. Sich nicht verunsichern lassen, dieser Rat ist da leichter gegeben als befolgt.
Hallo,
schon mal vielen Dank für den Beitrag.
Viele Grüße
Timo Stoppacher
„Gebildet ist, wer weiß, wo er findet, was er nicht weiß.“ Georg Simmel (1858-1918)
Der Artikel und die Webseite gefallen mir.
Schöne Grüsse aus der Freidenker Galerie
Rainer Ostendorf
http://www.freidenker-galerie.de
hallo frau sperber:
bei ihrem text habe ich manchmal den eindruck, sie schiessen mal los und schauen dann ob sie was getroffen haben. schon die zwischentitel sollen sie als „player“ zeigen. z.b. „fit auf allen plattformen“. ich muss sie enttäuschen: frische ideen sind nicht nur derzeit gefragt, sie waren es immer schon. sich grundlagen aneignen ist ein schöner ansatz, aber mir fehlt in diesem zusammenhang der interdisziplinäre teamgedanke. gerade in der schreibenden einzelkämpferzunft herrscht die meinung, sie wären die „story owner“. sie machen auf ihrer profilseite den selben eindruck. das war und ist grundlegend falsch. ich habe in einem anderen text gelesen, der autor hätte das know how wie eine seite zu gestalten sei. ich bezweifle das, bis auf wenige mir bekannten ausnahmen. wir sollten uns wieder (endlich) mit dem gedanken anfreunden, dass wir das alles für unsere leserInnen/konsumentInnen tun und uns überlegen, mit welchen mitteln wir die geschichte am besten abliefern. dazu braucht es mehr als eine person.
redaktionen im wandel: sie mögen redaktionell vielfältiger werden, aber personell weniger. und damit steigt der druck auf die einzelne personen ungeheuer. denn genau diese „eierlegende wollmilchsau“ wird auf managment-ebene gefordert. es geht nicht um grundlagen-erwerb, sondern um das tatsächliche ausführen divergierender tasks.
und zum abschluss kollegInnen zu unterstellen, sie hätten reine schreibbüro-jobs ist eine fehleinschätzung. diese art von redakteurInnen kenne ich eigentlich nur aus den online-departments.
Hall Herr Mangione,
wenn Sie glauben, ich zähle zur Einzelkämpferzunft und sehe mich als einziger Story Owner, haben Sie meinen Ansatz leider nicht verstanden. Ich glaube, dass uns die sog. neuen Medien wieder viel mehr die Chance geben, in Teams zusammenzuarbeiten, weil es eben nicht mehr reicht, eine Geschichte für die Zeitung zu schreiben und irgendein Agenturfoto daneben zu stellen.
Stattdessen müssen sich Autoren (und damit sind nicht allein schreibende Journalisten gemeint) Gedanken machen, wie sie ihre Geschichten besser, interessanter, multimedialer präsentieren (ja, Leser-freundlicher). Das erfordert das beschriebene Grundlagenwissen, um überhaupt eine Idee zu haben, wo sich ein Video lohnt oder welche Info man besser mit einer Grafik erklären könnte. Und, wie gesagt, dafür sind dann die jeweiligen Experten im Team gefragt.
Für mich als junge Journalistin, die gerade erst ihr Volontariat beginnt, ein wirklich guter Beitrag! Ich habe davor vor allem Praktika in TV-Redaktionen gemacht, wo mir die sehr eingeschränkte Sicht der vor allem älteren Kollegen auffiel.
Ich habe bereits ein Jahr lang als freie Videojournalistin in einer Online-Redaktion gearbeitet, absolviere mein Volo nun im Hörfunkbereich. Mein klares Ziel ist es später als Multimediaredakteurin zu arbeiten, da auch ich hier die Zukunft des modernen Journalismus sehe. Manche Redaktionen nutzen mir das Medium Video allerdings noch viel zu vorsichtig, andere haben – meiner Meinung nach – noch nicht verstanden, worauf es bei einem Webvideo ankommt.
Es bleibt jedenfalls spannend…