In drei Wochen von null auf Immersion! Das war das Ziel des Abschlussprojekts der electronic media school. Die Volontäre der Journalistenschule des RBB hatten noch nie 360°-Videos gedreht oder geschnitten. Es folgte ein Crashkurs und einige sehr intensive Tage mit den Trainern Susanne Dickel und Martin Heller.
Zwei Kühltürme ragen über einem Parkplatz auf, beständig steigen große Wolken aus Wasserdampf aus ihnen auf, vermischen sich mit dem grauen Wolken. Auf dem Parkplatz stehen vereinzelt Autos, eines davon noch ein Borgwart aus DDR-Zeiten. Ein guter Ort für ein 360°-Video über die Lausitz und die Braunkohleförderung.
Es ist das große Abschlussprojekt der electronic media school. 16 Volontäre sollen zeigen, was sie in den vergangenen Monaten gelernt haben. Diesmal allerdings gibt es eine besondere Herausforderung. Sie müssen sich mit einem ganz neuen Medium vertraut machen: Virtual Reality. Innerhalb von drei Wochen sollen sie in kleinen Gruppen mehrere 360°-Videos produzieren, darunter einen längeren Hauptfilm.
Das Thema: die Lausitz mit all ihren Facetten. Gigantische Löcher, die die Bagger in die Landschaft fräsen und damit vielen Menschen Arbeit geben, ein umgesiedeltes Dorf, die verschlammte Spree und der Lausitzring, der mit Windrad, Solarflächen und Biogasanlagen die Möglichkeiten von erneuerbaren Energien zeigt.
Tai Chi mit Kamera
Volontär Milan Schnieder grübelt, wo die Kamera am besten stehen sollte, duckt sich hinter sie und hält die Hände so, wo er die Schnittkanten zwischen den einzelnen GoPros vermutet. Die anderen Volontäre grinsen: Es sieht ein bisschen aus wie eine Tai-Chi-Übung. Schließlich positioniert Schnieder die Kamera zwischen dem Schauspieler, der später einen Arbeiter mimen soll, und den Kühltürmen.
„Warum glaubst du, dass das die perfekte Position ist?“, fragt Trainerin Susanne Dickel, die das Projekt neben Martin Heller (Technik) und Kathrin Röger (Inhalt) betreut.
Schnieder findet, dass die User so zu allen Seiten etwas zu sehen haben: vor sich den Arbeiter und, wenn sie sich umdrehen, die Kühltürme. Nach etwas Überlegen stellt er aber fest, dass eine Position, bei der sich die Zuschauer nicht komplett umdrehen müssen, um beides im Blick zu haben, besser geeignet ist, und platziert die Kamera neu.
Wissen schlägt teures Equipment
Eine Gruppe aus drei Volontäre dreht mit einer Freedom360 oder mit der Kodak Pixpro SP360. Sie produziert außerdem die fiktionale Rahmenhandlung, in die einzelne Abschnitte über den Tagebau, erneuerbare Energien oder Umweltschutz eingebettet sind.
Die meisten Volontäre arbeiten mit Samsung Gear 360 Kameras. Die sind leichter zu handhaben, kostengünstiger in der Anschaffung und werden gleich mit einer Stitching-Software mitgeliefert, sodass es nicht noch weitere Kenntnisse und teure Software braucht.
In einem kurzen, aber intensiven Training vermittelten Dickel und Heller vorab, was bei einem 360°-Dreh wichtig ist. Es zeigt sich, dass die oft etwas abwertend als „Consumer-Kamera“ bezeichnete Samsung Gear 360 gute Bilder liefert – wenn man beim Dreh einige Kleinigkeiten beachtet.
Wie man aus einer Consumer-Kamera mehr herausholt
So wird oft bemängelt, dass durch Helligkeitsunterschiede die Schnittkante zwischen den beiden Linsen im gestitchten Video deutlich zu erkennen ist. Das vermeiden die Volontäre: Sie platzieren die Kamera einfach so, dass die Sonne möglichst beide Linsen von der Seite beleuchtet.
Innerhalb von kurzer Zeit sind die Volontäre mit dieser Kamera gut vertraut. „Totalausfälle“, wie sie eigentlich beim Umgang mit einem ganz neuen Medium und einer fremden Technik zu erwarten wären, gibt es kaum. Mit den richtigen Kenntnissen ist diese Kamera also eine gute Option für Redaktionen, die sich an das Thema 360° heranwagen möchten.
Das Gefühl für die Schnittkanten
Das Team, das mit der Freedom360 und der Kodak arbeitet, braucht etwas mehr Betreuung. Aber auch hier stellt sich mit der Zeit ein gutes Gefühl dafür ein, wie man mit diesen Systemen arbeiten muss.
Nach dem Dreh beim Kraftwerk geht es weiter zu einem zweiten und schließlich einem dritten Ort, einem der vielleicht schönsten Drehorte des ganzen Projekts. Am Ufer eines ruhigen Sees liegt ein Hotel mit einem kleinen rotweiß gestreiften Leuchtturm. Der Himmel reißt auf, der Sonnenuntergang malt ihn zartgelb und rosa. Weit oben strahlt schon die Sichel des Mondes.
Nun heißt es schnell sein, denn diese schöne Szenerie wird schon bald verschwunden sein. Rasch baut Schnieder die Kamera auf und erläutert, welchen Weg der Schauspieler als Jogger nehmen muss. Das Fazit von Dickel: „Super gelöst.“
Ein perfekter Abschluss
Es folgen intensive Dreh- und Schnitttage, bis er schließlich da ist: der Tag der Präsentation. Volontäre und Trainer haben einige Headsets organisiert, um ein kleines VR-Popup-Kino aufzubauen.
Wird das Projekt gut ankommen? Immerhin haben die Volontäre sich für ein ungewöhnlich langes Stück entschieden: Elf Minuten dauert der Hauptfilm. Doch kein Besucher bricht vorzeitig ab, viele sind beeindruckt davon, eine Region und ihre Herausforderungen auf diese Art zu erleben. Eine tolle Rückmeldung für die Volontäre, die vor wenigen Wochen noch gar nichts über die Produktion von VR und 360°-Videos wussten.
Zur Website des Projekts „Auf heißen Kohlen – 360° in der Lausitz